Die Brentano - Ein Roman von Reinhard W. Kroll

Leseprobe 1

Nach seiner Anstandsansprache gibt Pelletier das Wort förmlich an Anna-Maria Brentano ab. „Sie werden uns sicher einiges darüber sagen können, wie Sie sich die Zukunft des Verlages vorstellen“, sagt er, und in seinem Ton ist eine gewisse Portion Vorfreude erkennbar. „Selbstverständlich wird Sie hier und heute niemand drängen, Frau Brentano. Das sollen Sie wissen.“ Wer in diesem Raum hegt Zweifel daran, dass Günther Pelletier der neue Vorstandsvorsitzende des Verlages werden würde? Dafür spricht seine Kompetenz, seine Solidarität zum Verlag, seine Firmentreue. Und sein Status als Prokurist, denkt Bert. „Sie werden wissen wollen, wer die Leitung als Vorstandsvorsitzender des Verlages übernimmt“, sagt Anna-Maria. Sie blickt in die Runde, sieht jeden an. Dann sagt die Frau freundlich: „Eigentlich wollte ich damit noch etwas warten, aber ich habe mir das anders überlegt und werde Sie heute bereits davon in Kenntnis setzen, wie ich das mir hier so denke."

Sie blickt in die Runde.

„Ich werde den Vorsitz im Vorstand übernehmen“, hört sie sich sagen. Ihre Gedanken schweifen um den Tod ihres Vaters, um den Verlag, um das, was auf dem Spiel steht. Ihr ist, als sagt diesen Satz ein anderer.

Einen Moment lang ist es still.

„Zumindest vorerst“, fährt sie mit ernster Miene fort. „Ich weiß, dass ich mich einer großen Verantwortung sowie einer noch größeren Herausforderung stellen muss. Ich möchte Sie deshalb innig bitten, mir zu helfen und mir schnell einen Einblick zu verschaffen. Und zeigen Sie mir schonungslos mögliche Probleme auf. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie jetzt denken: Die soll mal die jungen Pferde im Stall lassen. Das kann nicht sein, die hat doch keine Ahnung von dem, was hier vorgeht. Und ihr fehlt die Kompetenz. Ich versichere Ihnen, dass ich Sie alle in meine Arbeit einbeziehen werde, Alleingänge kommen für mich nicht in Frage. Ich baue auf Sie.“

Jablonski blickt zu Pelletier. Die anderen im Raum, von Maria Maeder abgesehen, ebenso. Die Maeder kann Pelletier nicht richtig sehen, weil zwischen ihnen Anna-Maria Brentano sitzt. Die nicht mehr ganz junge Chefsekretärin verzieht ein wenig das Gesicht. So, als wolle sie sagen: na, dann mal zu.

„Und wenn Sie sich fragen, warum macht sie das, weshalb tut sie sich das an, statt sich ein schönes Leben zu machen, sage ich Ihnen: Die Herausforderung steht ganz oben. Ich will und werde mir selbst beweisen, dass ich das kann."